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Von Superlativen, Scheinriesen und Schaumschlägern

  • Autorenbild: Olav Bouman
    Olav Bouman
  • 9. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Warum in Politik, Wissenschaft und im Berufsleben so gern übertrieben wird – und warum das selten eine gute Idee ist


Neulich auf einer Fachkonferenz...


Ein junger Wissenschaftler beginnt seinen Vortrag mit den Worten:

„Meine bahnbrechende Entdeckung wird die Welt der Neurowissenschaften revolutionieren!“


Drei Minuten später: Es geht um ein besseres Protokoll zur Fixierung von Rattenhirnen.Nett. Wichtig sogar. Aber eine Revolution? Eher nicht.


Willkommen in der Welt der Übertreibung.


Ob im Bundestag, im Labor oder im Meetingraum – überall wird maximiert, dramatisiert, skandalisiert.Was früher „interessant“ war, ist heute „revolutionär“.Und was gestern „unklar“ war, ist heute „ein Skandal von ungeheurem Ausmaß“.


Warum eigentlich?Und was passiert im Gehirn, wenn Menschen übertreiben – und wenn andere ihnen glauben?


Die neurobiologische Wurzel: Warum wir auf Übertreibung anspringen


Unser Gehirn ist ein alter Kerl in einem modernen Anzug.Es liebt klare Botschaften, starke Reize und emotionale Ausschläge – weil es Energie sparen will.


Das limbische System, insbesondere die Amygdala, scannt Informationen auf Relevanz und Gefahr. Und: Je stärker der emotionale Reiz, desto höher die neuronale Aufmerksamkeit.


Das macht evolutionär Sinn: Ein schriller Ruf wie „Feuer!“ rettet mehr Leben als ein ruhiges „Es könnte möglicherweise warm werden.“Im Dschungel nützlich. In der Talkshow – oft problematisch.


System 1 liebt Drama


Daniel Kahneman unterscheidet zwei Denkmodi:


  • System 1: schnell, emotional, impulsiv

  • System 2: langsam, rational, differenziert


Übertreibungen sprechen System 1 an – und erzeugen dadurch schnelle Aufmerksamkeit, oft ohne dass System 2 aktiviert wird.


Ein billiges, aber wirksames Mittel zur Einflussnahme.


Politik: Die Bühne der Superlative


Politiker:innen sind Profis der Überhöhung. Warum?


  • Medienlogik: Nur wer laut ruft, wird gehört.

  • Aufmerksamkeitsökonomie: Emotional aufgeladenes Framing bringt mehr Sendezeit und Klicks.

  • Kognitive Vereinfachung: Komplexe Sachverhalte werden auf knackige Schwarz-Weiß-Narrative reduziert.


Was dabei verloren geht?Differenzierung, Vertrauen – und oft: Wahrheit.


Wissenschaft: Zwischen Hype und Hoffnung


Wissenschaft soll nüchtern sein – aber auch sie lebt heute im Spannungsfeld von Drittmitteln, Medienpräsenz und Relevanzdruck.


„Unsere Forschung könnte helfen, Krebs zu besiegen.“Könnte. In 25 Jahren. Vielleicht.


„Science Hype“ nennt man das Phänomen:


  • Vage Andeutungen werden zu sensationellen Headlines.

  • Konferenz-Titel enthalten mehr Adjektive als Substanz.

  • Die Latte der Erwartungen liegt so hoch, dass selbst solide Ergebnisse wie Enttäuschungen wirken.


Die Folge?Wissenschaftsverdrossenheit.Und das völlig zu Unrecht – aber leider auch völlig nachvollziehbar.


Berufswelt: Buzzwords und Bullshit-Bingo


Auch im Arbeitsalltag wird übertrieben, was das Flipchart hergibt:


  • „Wir sind Marktführer!“(Unter 40-Jährigen mit mittlerem Einkommen in Stadtteilen mit L im Namen?)

  • „Wir denken radikal neu.“(Heißt: Wir haben das Logo geändert.)

  • „Wir sind agil.“(…aber nur dienstags.)


Übertreibung ist hier oft ein Versuch, Unsicherheit zu kaschieren, Kompetenz zu signalisieren oder einfach mitzuhalten im Strom der Dauervermarktung.


Doch das hat Nebenwirkungen.


Die Risiken der Übertreibung


1. Vertrauensverlust

Menschen merken, wenn sie manipuliert werden.Wer ständig übertreibt, wird irgendwann nicht mehr ernst genommen.


2. Erwartungsfalle

Wer zu viel verspricht, muss auch liefern.Wenn das nicht gelingt, folgt Frust statt Fortschritt.


3. Kognitive Abstumpfung

Ständige Superlative verlieren ihre Wirkung.„Historisch“, „epochal“, „bahnbrechend“ – das Hirn zuckt irgendwann nicht mal mehr mit der Synapse.


Was tun? Der neurointelligente Weg


Sprich ehrlich – und emotional.Emotionale Reize sind wichtig – aber sie müssen glaubwürdig sein.


Nutze Storytelling statt Schaumschlägerei.Eine gute Geschichte mit echtem Konflikt und Lösung bleibt besser im Gedächtnis als ein überladener Superlativ.


Setze auf Differenzierung statt Dramatisierung.Nicht jedes Problem ist eine Krise, nicht jede Lösung eine Revolution. Und das ist auch gut so.


Verstehe die Zielgruppe – und respektiere ihr Denken.Wer Menschen wirklich erreichen will, braucht kein Megafon, sondern Empathie.


Fazit: Weniger ist manchmal mehr – vor allem im Hirn

Übertreibung wirkt kurzfristig – und schadet langfristig.Sie kitzelt unser limbisches System, aber untergräbt die Basis von Vertrauen, Klarheit und echter Kommunikation.


Oder wie es ein alter Köhler mal sagte:


„Wenn die Glut echt ist, braucht es keinen Windbeutel.“


Brain & Heart: Wissen teilen – Impulse setzen.

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