Burnout beginnt im Hirnstamm – nicht in der Chefetage
- Olav Bouman
- vor 4 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Warum die Ursachen von Erschöpfung tiefer liegen, als wir denken – und was wir daraus lernen können.
Der Tag, an dem Sabine plötzlich weinte, war ein ganz normaler Mittwoch.
Sie saß an ihrem Schreibtisch, beantwortete die 47. E-Mail des Tages, trank ihren dritten Kaffee – und als ihr Chef beiläufig fragte, ob sie noch „kurz was für morgen vorbereiten“ könne, liefen die Tränen.
Sabine war nicht traurig. Sie war leer. Innerlich wie außen. Und das Schlimmste: Sie konnte es sich nicht erklären.
Burnout? Nein, das passte doch nicht zu ihr. Sie war stark. Belastbar. Loyal. Nur eben... kaputt.
Burnout: Mehr als ein psychologisches Modewort
Burnout ist längst mehr als ein Trendthema in Führungskräfteseminaren oder ein Hashtag bei LinkedIn. Es ist eine neurologisch messbare Erschöpfung des Systems Mensch. Und wer verstehen will, warum es so viele trifft – und warum gute Vorsätze wie „mehr Pausen“ oft nicht reichen – muss dorthin schauen, wo es wirklich beginnt: in den tiefsten Regionen unseres Gehirns.
Der Hirnstamm: Sitz des Überlebens
Der Hirnstamm ist der älteste Teil unseres Gehirns. Hier werden Grundfunktionen gesteuert: Atmung, Puls, Schlaf-Wach-Rhythmus, Fluchtreflexe. Wenn dort etwas aus dem Takt gerät, merkt man das nicht sofort bewusst – aber der Körper reagiert radikal.
Im Dauerstress-Modus ist dieser Bereich ständig aktiviert. Das bedeutet:
Der Körper ist in erhöhter Alarmbereitschaft
Blutdruck und Herzfrequenz steigen
Cortisol und Adrenalin fluten den Organismus
Regeneration wird systematisch unterdrückt
Was das bedeutet? Ganz einfach:Burnout ist kein „Zusammenbruch wegen zu viel Arbeit“. Es ist ein physiologischer Erschöpfungszustand, der entsteht, wenn das Nervensystem zu lange im Ausnahmezustand war.
Der Fehler im System: Warum Bewusstsein oft zu spät kommt
Der präfrontale Cortex – der „Manager im Gehirn“ – merkt oft erst sehr spät, was der Hirnstamm schon lange signalisiert:
Schlafstörungen
Gereiztheit
Appetitverlust
Rückzug
Sinnlosigkeit
All das sind Frühwarnzeichen des Körpers – doch wir ignorieren sie, weil das Großhirn sagt: „Reiß dich zusammen!“
Ironie der Evolution:Unser Denkhirn ist zu jung, um sich gegen das übermächtige Alarmsystem des Hirnstamms durchzusetzen – und zu stolz, um rechtzeitig Hilfe zu holen.
Der Burnout-Mythos: „Nur die Fleißigen trifft’s“
Falsch.Burnout trifft nicht nur Leistungsträger, sondern vor allem Menschen mit hohem Verantwortungsgefühl, sozialer Orientierung und innerer Loyalität.Das bedeutet: Menschen, die selten laut „Nein“ sagen – und deren Belohnungssystem nicht auf Status, sondern auf Anerkennung gepolt ist.
Neurowissenschaftlich betrachtet sind sie besonders anfällig, weil sie:
Stress länger aushalten
weniger rebellieren
stärker mitfühlen
mehr Erwartungen internalisieren
Das macht sie wertvoll – aber eben auch verletzlich.
Was hilft wirklich? (Spoiler: Es ist nicht nur Yoga)
Natürlich: Pausen, Achtsamkeit, Bewegung, Ernährung – all das ist wichtig.Aber entscheidend ist ein tieferes Umdenken:
1. Erkenne den Frühalarm des Körpers
Nicht warten, bis der Urlaub nötig ist – sondern auf Signale hören, die sich körperlich, nicht nur mental äußern.
2. Soziale Verbundenheit stärken
Oxytocin – das „Bindungshormon“ – schützt das Nervensystem. Menschen, die sich wirklich verbunden fühlen, brennen langsamer aus.
3. Sprich über deine Erschöpfung – vor dem Kollaps
Burnout wächst im Schweigen. Offenheit (auch im Team!) ist der erste Schritt zur Regulation des inneren Alarmsystems.
4. Nicht delegieren – sondern deeskalieren
Viele glauben, sie müssten einfach mehr „richtig organisieren“. Doch das Problem liegt nicht in der Struktur, sondern im Systemstress. Man muss lernen, nicht nur Aufgaben, sondern Ansprüche zu senken.
Fazit: Burnout ist ein Hirn-Problem, kein Charakterfehler
Wer Burnout hat, ist nicht schwach. Sondern biologisch überhitzt.Das sollte man wissen – und anerkennen. Denn je früher wir auf die Sprache des Hirnstamms hören, desto besser können wir steuern, bevor es kracht.
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